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„Die junge Generation ist besonders politisch interessiert“

Nach längerer Coronapause meldet sich die Vortragsreihe „weiterDenken ermöglychen“ mit dem Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider als Gastreferenten wieder zurück. Dieser analysierte bei der Veranstaltung am 10. November den zurückliegenden Bundestagswahlkampf, erklärte die Ursachen für den überraschenden SPD-Erfolg und beleuchtete verschiedene Entwicklungen rund um die Wahl.

„Ein solch abwechslungsreicher Wahlkampf wie in diesem Jahr ist auch für erfahrene Demoskopen einmalig“, stellt Prof. Brettschneider gleich zu Beginn fest, als er die Umfrageergebnisse der Sonntagsfrage von Januar bis September als Kurvendiagramm zeigt: Während von Januar bis August die Union die Wahlumfragen anführte, kurz unterbrochen von einem mehrwöchigen Höhenflug der Grünen im Mai, erhielt ab Mitte August zunehmend die SPD die stärkste Zustimmung in der Bevölkerung. Dieser Trend hielt bis zum Wahlabend an, so dass die SPD mit 25,7% der Zweitstimmen einen knappen Wahlsieg vor der CDU (24,1%) und den Grünen (14,8%) einfuhr.

Die Hauptgründe sieht der Politikwissenschaftler, der seit 2006 den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim innehat, in den Zustimmungswerten für die beiden Kanzlerkandidaten und die Kanzlerkandidatin. Die Mischung aus verspätet gemeldeten Nebeneinkünften, geschönten Angaben im Lebenslauf und fehlenden Quellenangaben in ihrem Buch hätten beispielsweise bei Annalena Baerbock, der Spitzenkandidatin der Grünen, zu einer Glaubwürdigkeitskrise geführt. Dies sei für die Kandidatin daher zu einem ernsten Problem geworden: „Das schlimmste, was ein Kandidat verlieren kann, ist seine Glaubwürdigkeit“, betont Brettschneider.

Unionskandidat Armin Laschet hingegen habe schon vor der Bekanntgabe seiner Kandidatur schwache Zustimmungswerte gehabt, was seine Nominierung als Kanzlerkandidaten auch für Meinungsforscher wie ihn überraschend machte. „Wer bereits Schwierigkeiten hat, seine eigenen Anhänger zu überzeugen, dem wird es noch schwerer fallen, andere Wählergruppen für sich zu gewinnen“, so der Experte. Mit hinzu sei der „Lacher an der falschen Stelle“ gekommen, als er am Rande eines Besuchs bei den Betroffenen der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen feixend im Hintergrund eines Fernsehinterviews zu sehen ist. Damit sei auch seine Ernsthaftigkeit beschädigt gewesen. Aber auch die Auswahl der Wahlkampfthemen hätte seiner Partei nicht geholfen: „Niemand wählt die Union wegen ihrer Klimapolitik. Wer das Klima schützen will, sieht diese Kompetenz stärker bei den Grünen,“ erklärt Brettschneider.

Deutlich von diesen Entwicklungen profitiert habe der SPD-Kandidat Olaf Scholz, der mit seiner ruhigen Art und seiner Inszenierung als Merkel-Nachfolger von den Wählern zunehmend als die bessere Alternative wahrgenommen worden sei. Im Gegensatz zu Laschet und Baerbock hätten ihn viele Wähler als deutlich sympathischer, kompetenter und vertrauenswürdiger empfunden. „Selbst sein fragwürdiges Handeln im Cum-Ex- und im Wirecard-Skandal änderte daran wenig. Solch komplexe Themen sind für einen Wahlkampf anscheinend zu abstrakt“, meint Brettschneider.

Für große Erheiterung beim überwiegend jungen Publikum sorgte Brettschneider mit der Präsentation von repräsentativen forsa-Umfrageergebnissen zu Gesprächen und Diskussionen über Politik. „Häufig heißt es ja, die Jugend interessiere sich nicht für Politik. Diese Ergebnisse zeigen aber etwas anderes“, führt Brettschneider aus. Während in allen anderen Altersgruppen nur 33-38% der Befragten angegeben hätten, im Freundes- und Bekanntenkreis häufig oder sehr häufig über Politik zu sprechen, seien es bei der jüngsten Wählergruppe von 18-29 Jahren 48% gewesen. Zugleich bringe diese Gruppe auch häufiger neue Informationen in Diskussionen ein und werde auch deutlich häufiger um die eigene Meinung gefragt als andere Altersgruppen. „Die jüngere Generation der heutigen Zeit ist also nicht weniger politisch, sondern gerade diese Gruppe ist besonders politisch interessiert“, fasst der Experte zusammen.

Auch die Ergebnisse zum Wirkungsgrad von verschiedenen Wahlkampfwerbemitteln sorgten beim Publikum für Überraschungen. Während 62% der Befragten angaben, Wahlplakate mit Parteiwerbung wahrgenommen zu haben, und 50% dies für Fernsehwerbung bejahten, wurden lediglich 28% der Befragten über Social Media und 15% über Wahlkundgebungen erreicht. Der verhältnismäßig geringe Wirkungsgrad von Werbung in den sozialen Medien sei auf die Altersstruktur der Wähler zurückzuführen: Bei den jungen Leuten sei die Wirksamkeit über Social Media deutlich höher, bei den älteren Wählern aber recht gering – und diese machten eben einen großen Teil der Wählerschaft aus.

Zudem zeigten sich bei der Social Media-Aktivität große Unterschiede zwischen den Parteien, wie Brettschneider erläutert. Grundsätzlich seien zwar alle großen Parteien auf Facebook aktiv und erreichten dort durchschnittlich etwa 25% ihrer Anhänger. Parteien mit einer jüngeren Wählerschaft, wie FDP, Grüne und Linke, erreichten dort aber höhere Werte als Union und SPD. Zudem nutzten FDP, Linke und Grüne neben Facebook auch Plattformen wie Instagram, YouTube und Twitter deutlich intensiver als die beiden größeren Parteien. Die größte Reichweite im Social Media-Bereich hatte allerdings die AfD, welche je nach Medium bis zu 38% ihrer Wähler erreicht. „Der hohe Wert überrascht nur bedingt, da die AfD zu einem größeren Teil von Menschen gewählt wird, die sich gezielt von den Massenmedien abwenden und teilweise ausschließlich über das Internet informieren,“ erklärt der Referent. Insgesamt habe die Bedeutung von Social Media im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 bei allen Parteien stark zugenommen. Dieser Trend dürfte sich daher auch in Zukunft weiter fortsetzen.

Nach der anschließenden etwa 20-minütigen Diskussionsrunde mit verschiedenen Fragen zu Kanzlerkandidaten, Wahlplakaten und Methodik wurde Prof. Brettschneider schließlich mit langem Applaus als Dank für seinen sehr anschaulichen Vortrag verabschiedet.

Beim nächsten Vortrag der Reihe „weiterDenken ermöglychen“, am Donnerstag, den 9. Dezember, ist Prof. Dr. Kai Maaz (Goethe-Universität Frankfurt) zu Gast, der über das Thema „Schule weiterdenken: Was wir aus der Pandemie lernen“ sprechen wird.


Text: Marius Pfleghar
 Bilder: Michael Stark
Veröffentlicht: 17.11.2021