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Letzte Aktualisierung:23.05.2011
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Rede zur Lu-Einweihung am 13.5.2011

 

"Na, geht's schon nach Hause?" Wie oft hatte ich diese Frage gehört, wenn ich mich in der großen Pause wetterfest anzog, mein mobiles Arbeitszimmer, sprich: meinen Nachziehkoffer, reisefertig machte und dem Schulausgang zustrebte. Meine ernüchternde Antwort nach einem tiefen Seufzer lautete dann jedoch: "Nein, ich muss zum Pavillon!", und ich konnte förmlich spüren, wie der eben noch neidvolle Blick hinter meinem Rücken in Bedauern umschlug.

Für die Nicht-Mögyaner sei erklärt: Der Pavillon ist ein kleines Gebäude hinter dem Technischen Rathaus, das (wie manch andere Räumlichkeiten auch) als Mögy-Außenstelle diente, um all die Klassen und Kurse unterzubringen, für die im Haupthaus kein Platz mehr war. Nicht einmal das alte "Lu", die baufällige Villa an der Lutherstraße, die uns vor Jahren vorübergehend zur Verfügung gestellt worden war, hatte diesen Engpass auffangen können. Wie auch, wenn eine Schule zwar als 3-4zügig gezählt wird, aber regelmäßig 4, in vielen Jahrgangsstufen sogar 5 Parallelklassen besitzt?!

So wie manch andere Kollegen musste also auch ich regelmäßig "auswandern". Meist kam ich mächtig abgekämpft am Pavillon an. Die G9-Kurse in früheren Jahren waren allerdings meist schon da, weil sie ja bequem mit ihren Autos gefahren waren. Aber auch meine jetzigen G8er standen dort immer schon frisch und munter vor der Tür, wenn ich kam. Ihnen schien der Weg in unser Exklave weniger auszumachen, während ich mit zunehmendem Alter das Gefühl hatte, der Weg werde immer länger, die Pausen dafür kürzer, der Koffer schwerer und das Wetter schlechter.

Aber es sollte ja besser werden! Nachdem aus der "vorübergehenden" Nutzung des alten "Lu" ganze 20 Jahre geworden waren, hatte Herr Dr. Föll nach zähem Ringen endlich durchsetzen können, dass das Mögy einen Neubau bekommen sollte mit mehr Platz, als es die alte Villa bieten konnte.

Wie enttäuscht waren wir, als wir die Baupläne sahen: Nur zwei Etagen mit jeweils zwei Räumen! Und dann das Äußere: Dieser flache Klotz! Wieso sollte ausgerechnet der so hervorragend mit unserem prachtvollen, denkmal-geschützten Bonatz-Bau harmonieren?! Trotz aller Hoffnung auf mehr Platz gab es wohl nicht nur bei mir eine gewisse Skepsis gegenüber dem, was die zwar baufällige, aber irgendwie doch romantisch-heimelige Villa ersetzen sollte.

Aber das sollte sich ändern. Als ich das erste Mal – nämlich beim Richtfest – den Rohbau von innen erleben konnte, stellte ich ein erstaunliches topologisches Phänomen fest, nämlich, dass das Haus innen offenbar größer war, als es von außen wirkte. Außerdem gab es über den zwei Voll-Etagen noch eine halbe weitere Etage plus geräumigem Dachgarten und neben den zwei Kurs- bzw. Fachräumen in jeder Etage noch diverse zusätzliche Räume.

Als dann die Außenwände verklinkert wurden, veränderte sich auch der optische Eindruck: Statt tristem Grau gab es jetzt ein Beige, das nicht nur tatsächlich zum Mögy-Beige passte, sondern durch die Farbunterschiede von Stein zu Stein auch das starre Erscheinungsbild auflockerte.

Mit großer Neugier sah ich daher der Führung durch den Neubau entgegen, die die Architekten dem Kollegium für den 22. Februar angeboten hatten. Bei strahlendem Sonnenschein trafen wir uns also nach dem Unterricht auf dem hinteren Schulhof. Während wir auf den Beginn der Führung warteten, wurden witzige Bemerkungen gemacht, z.B. dass eigentlich nur noch ein Mercedes-Stern auf dem Turm des vorderen Treppenhauses fehlen würde, um den Eindruck zu gewinnen, man stünde vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof...

Dann kam Frau Klumpp, die Architektin. Sie forderte uns auf, das Gebäude zunächst von außen zu betrachten, damit wir dessen sachliche Fassade bemerken würden, seine soliden Mauern mit den großen Fenstern für Einblicke und den weiten Türen zum Rauskommen. Als sie dann noch auf das moderne, aber doch dezente Erscheinungsbild hinwies, dämmerte es mir: Frau Klumpp und ihr Mann hatten kein Gebäude für eine beliebige Schule errichten wollen, sondern ein Sinnbild für uns Lehrer: Sollen nicht auch wir ein modernes, aber doch dezentes Erscheinungsbild bieten, sachlich erscheinen, trotzdem aber hin und wieder Einblick in unser Inneres gewähren und aus uns herauskommen?

Dazu passten auch die Mäuerchen um den gepflasterten Vorplatz: Statt weiter enttäuscht darüber zu sein, dass dort außer zwei Bäumen keinerlei Bepflanzung vorgesehen war, erkannte ich, dass die einladenden Sitzgelegenheiten Motivation für uns sein sollen, unseren Unterricht ebenfalls so zu gestalten, dass die Schüler gern bei uns Platz nehmen.

Bei der Führung durch das Innere des neuen "Lu" wurde diese These mehr und mehr gestärkt: Überall gibt es z.B. Sichtbeton, naturbelassen. Sollen nicht auch wir Lehrer natürlich wirken, ohne falsche Fassade? Dazu die Türbereiche aus edlem Eichenholz: Ist die dadurch bewirkte warme Atmosphäre nicht Symbol für die Menschlichkeit und Herzenswärme, mit der wir unseren Schülern begegnen sollen? Ebenso aus Eichenholz gibt es im Flur vor der Mensa große Regale als Speicher für Schultaschen und ähnliches. Auch von uns wird erwartet, dass wir viel Speicherplatz haben, gibt es doch immer wieder neue Vorschriften, Schulbücher, Arbeitsbereiche, Prüfungsordnungen u.ä., die wir zusätzlich zu all unserem Fachwissen, den Namen der Schülern usw. griffbereit in unserem Hirn abzulegen haben. Die Rippen an den Decken, die dem Schallschutz dienen sollen, fordern uns auf, nicht zu schreien, sondern in angemessener Lautstärke mit den uns anvertrauten Kindern zu sprechen. (Anmerkung: Ob wohl auch die Kinder durch diese Akustik-Rippen dazu gebracht werden, Zimmerlautstärke nicht zu überschreiten?) Die behindertengerechten Toiletten mahnen uns zu Rücksicht auf Benachteiligte, die Faltwand zwischen Musikraum und Mensa zu großer Flexibilität und die moderne Mensa selbst zu gesunder Ernährung. Dass der Außenbereich vor der Mensa mit seiner treppenartigen Tribüne an ein römisches Theater erinnert, habe wohl nur ich empfunden, so dass ich nicht sicher bin, ob das Ehepaar Klump uns wirklich zu mehr Rückbesinnung auf die Antike auffordern will – auch wenn ich als Lateinlehrerin das natürlich begrüßen würde. Sicher ist, dass die hochwertigen Terrazzo-Böden uns ermuntern sollen, keine Schäden nach außen zu zeigen, auch wenn wir Lehrer, die bekanntlich an fast allen Missständen schuld sind, oft und von vielen "getreten" werden. Die Betonskulpturen in den Treppenaufgängen dienen nicht nur wegen der fehlenden Schächte zwischen den Treppen der Sicherheit von Lehrer- und Schülerschaft, sondern zeigen uns, dass auch die Kunst für uns wichtig ist, kann sie doch unsere Lebensqualität steigern. Überhaupt die Treppen: Wer schon einmal im neuen "Lu" war, hat bemerkt, dass die Treppen nicht von parallelen Kanten begrenzt werden, sondern dass die Stufen auf fast anthroposophische Weise mal schmaler und mal breiter werden. Könnte das nicht ein Hinweis darauf sein, dass der "Weg nach oben" für Lehrer wie für Schüler nicht unbedingt immer geradlinig verläuft, dass man aber, auch wenn es manchmal eng werden mag, in der Regel doch irgendwie weiter kommt? Schließlich sind mir bei der Hausführung der hohe Zaun und die breiten Grünstreifen auf dem Dach aufgefallen, durch die zwar der begehbare Teil des Dachgartens stark dezimiert wird, der aber natürlich unser aller Sicherheit dient. Auch wir Lehrer sollten uns, so lernen wir daraus, manchmal abgrenzen von unserer Arbeit, um nicht unser Leben zu gefährden!

Ja, und dann gibt es drüben noch die sogenannten Lerninseln, fantastische Seitennischen in jedem Flur, rundum mit dem wohligen Eichenholz ausgekleidet und nach außen abgeschlossen mit einer komplett aus Glas bestehenden Rückwand. Gemütlich eingerichtet laden sie zu konzentrierter Kleingruppenarbeit ein oder auch zu optimaler Entspannung. Geradezu überwältigend war – gerade bei dem fantastischen Wetter, das wir während der Besichtigung hatten – der Blick von dort auf unser Mögy und den zwar durch die Bauarbeiten noch etwas ramponierten, aber noch immer einmaligen Schulhof. Wie herrlich müsste es sein, dort während einer Freistunde zu sitzen, bei einer Tasse Kaffee oder Tee ein nettes Gespräch zu führen oder auch nur die Ruhe zu genießen... Ach, halt! Ich vergaß: Diese Lerninseln sind ausschließlich den Schülern vorbehalten. Naja, wir Lehrer brauchen das ja auch gar nicht, haben wir doch unser Lehrerzimmer im Haupthaus, wo mehr als der Hälfte von uns ein Stuhl, vielen sogar zusätzlich eine Tischfläche im DIN A3-Format zur Verfügung steht.

Doch zurück zum "Lu": Über den Treppenaufgängen gibt es runde Oberlichter. Diese sehe ich als Zeichen dafür, dass wir bei unserer täglichen Arbeit nicht nur auf unser eigenes Vermögen und Bemühen, auf freundliche Kolleginnen und Kollegen sowie willige Schülerinnen und Schüler angewiesen sind, sondern auch eine gewisse Hilfe "von oben" brauchen.

Ich freue mich jedenfalls schon darauf, eines Tages vielleicht auch mal in unserem Neubau unterrichten zu dürfen. Und wer weiß? Vielleicht werde ich dann, wenn ich meine Jacke anziehe und mit meinem mobilen Arbeitszimmer, sprich: meinem Nachziehkoffer, auf den Schulausgang zustrebe, wieder gefragt: "Na, geht's schon nach Hause?" Dann aber werde ich nicht seufzen, sondern schmunzeln, weil ich weiß, dass der neidvolle Blick gleich noch neidischer wird, wenn ich nämlich antworten werde: "Nein, ich darf jetzt ins Lu!"

 

Helga Dubbe-Wegener